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Vor der eigenen Tür kehren

Selbstgerechtigkeit ist ganz schön nervend, und wie es scheint, ganz schön ansteckend. Es ist ein regelrechter Volkssport geworden, mit anklagendem Finger auf Dinge zu deuten, die vielleicht auch bei mir zu finden sind. Ich mokiere mich über Fernreisen, fliege aber selbst gerne Kurzstrecken, um mir längere Bahnfahrten zu ersparen. Ich schimpfe auf intensive Gartenbewässerungen, gehe aber gerne ins Schwimmbad.

Vorsicht ist geboten. Erst mal vor der eigenen Türe kehren.

Sagt auch Jesus. Der gerät in eine hitzige Debatte. Ein paar Leute haben eine Frau beim Ehebruch ertappt. Sie soll bestraft werden. Steinigung ist in solchen Fällen üblich.

Jetzt, da Jesus zufällig da ist, soll er dazu befragt werden. Mal sehen, ob er sich wirklich so gut in allem auskennt, wie immer behauptet wird. Natürlich rechnen die Ankläger damit, dass er, wie so oft, seine revoluzzerhaften Ansichten zum Besten geben wird, die aber selten gesetzeskonform sind. Dann hätten sie noch einen Grund, sich aufzuregen. Skandale sind einfach was Herrliches.

Jesus scheint sich aber gar nicht für die Aufregung zu interessieren.

Er ist anderweitig beschäftigt.

Erst, als sie ihn von allen Seiten bedrängen, rafft er sich zu einer Rede auf. Die ist kurz, besteht nur aus einem einzigen Satz:

„Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Damit ist die Sache für ihn erledigt. Er hat ihnen nicht den Gefallen getan, für die Frau Partei zu ergreifen. Er hat auch niemanden kritisiert. Er dreht den Spieß einfach um: Jeder soll erst mal vor der eigenen Tür kehren.

Die Ankläger sind so perplex, dass sie gar nichts sagen. Sie verziehen sich, einer nach dem andern.

So kann das laufen, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt…