Slackline

Ein breites Gummiband ist zwischen zwei Bäume gespannt. Also – es hängt eher etwas durch. Die Slackline, so heißt das in der Fachsprache, ist schon etwas länger installiert und macht ihrem Namen als „schlaffe Leine“ alle Ehre. Sie erzählt noch vom letzten Sommer. Jetzt, Anfang Februar, fällt sie mir beim Hundespaziergang auf. Ich schaue über den Zaun in den Garten und frage mich, warum sie keiner reingeholt hat über Winter? und: Ob sie noch trägt? Ob sich wohl noch jemand trauen würde, über das wenige Zentimeter breite Band zu balancieren? Ob da noch Vertrauen wäre, in das Material, das sich schon leicht grün verfärbt hat? Und ob es noch standhält? OK, man würde nicht tief fallen – aber trotzdem. Für ein paar blaue Flecken reicht es.
Vielleicht müsste es einfach nur nochmal gespannt werden – damit es trägt.
Für einen kurzen Moment überlege ich, es zu versuchen. Vorsichtig Fuß vor Fuß setzen. Auf dem gelben Gummiband zwischen zwei Bäumen über die Wiese und weiter darüber hinaus. Koordiniert, konzentriert und im Gleichgewicht, Schritt für Schritt auf dem schmalen Grat des Lebens balancieren und darauf vertrauen, dass es trägt, auch wenn es schon etwas grün ist. Für den nächsten Schritt, den nächsten Atemzug, die nächste Entscheidung. Freischwebend, die Arme in die Luft gestreckt über den Herausforderungen und Abgründen meines Lebens. Und dann gewiss sein, dass ich nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Blaue Flecken inklusive.
Ich kann mich nur schwer lösen von dem Anblick der Slackline. Doch mein Hund will endlich weiter. Eine Zeitlang balanciere ich noch auf der Bordsteinkante und nehme das befreiende Gefühl und mein Lächeln mit.