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Morgenfeier zum Pfingstmontag 2023: Wolf Biermann

Musik: Wolf Biermann: Ich möchte am liebsten weg sein – und bliebe am liebsten hier

Text (Peter Sorg)

Guten Morgen und ein frohes Pfingstfest!

In der Pfingstgeschichte der Bibel begegnen wir einem verschreckten Haufen. Die Jünger Jesu haben sich zurückgezogen, sitzen beisammen ohne rechte Perspektive und wohl mit einer gehörigen Angst vor der Welt da draußen. Jesu Auferstehung haben sie zwar erlebt. Mut hat ihnen das aber offensichtlich nicht gemacht.

Musik: Hildegard Knef: Tage hängen wie Trauerweiden

Text (Peter Sorg)

Doch dann rauschts und flackerts. Der Geist der Ermutigung fährt in sie wie Feuer. Sie fassen Mut. Sie reden von ihrem Glauben. Sie werden verstanden, gehen auf die Menschen zu couragiert und begeistert.

Gibt es so was noch? Sicher – und zu allen Zeiten.

Einer der Courage und Begeisterung gezeigt hat, andere ermutigt und begeistert hat, war und ist Wolf Biermann. Der 1936 Geborene siedelte als Jugendlicher in die DDR über. Dort veröffentlichte er erste Lieder und Gedichte. Mit der Zeit wandelte er sich zu einem scharfen Kritiker der SED und der DDR, weswegen 1965 gegen ihn ein Auftritts- und Publikationsverbot verhängt wurde. Seine Wohnung in der Chausseestraße wurde zum Aufnahmestudio, das Quietschen der Tram sein Backgroundchor. Mitte der 70er wurde ihm nach einer Konzerttour in der Bundesrepublik Deutschland die Wiedereinreise in die DDR verweigert, und er wurde ausgebürgert. Dies führte in Ost- und Westdeutschland zu breiten Protesten.

Ein Mahner, Warner und Ermutiger blieb Biermann stets und ebenso ein Liebhaber des Lebens.

Eines seiner bekanntesten Lieder, „Du lass dich nicht verhärten“, entstand in seiner Wohnung, denn ein Studio stand dem Dissidenten, wie gesagt, nicht zur Verfügung. Dieses Lied war eine Hymne in meiner Jugend. Und heute in Zeiten der Polarisierung und offener Aggression bleibt es ein Beitrag besonnener Ermutigung. Darum soll dieses Lied und Texte aus der Bibel uns durch diese Morgenfeier begleiten.

Musik: Wolf Biermann: Du lass dich nicht verhärten

Text (Peter Sorg)

Lass dich nicht verhärten! Singt Biermann und von einer harten Zeit. Weicher sind die Zeiten seit dieses Lied – lange vor der Wende – entstand nicht geworden. Vielleicht gehört es ja zu unserer Grundstruktur als Menschen, dass wir uns verhärten in den Krisen des Lebens. Darauf deutet hin, was der Prophet Jeremia schon in vorchristlicher Zeit schreibt:

Text (Jörg Metzinger)

HERR, deine Augen sehen auf Wahrhaftigkeit. Du schlägst sie, aber sie fühlen’s nicht; du machst fast ein Ende mit ihnen, aber sie bessern sich nicht. Sie haben ein Angesicht, härter als ein Fels, und wollen sich nicht bekehren.

Text (Peter Sorg)

Jahrtausende alt ist dieser Text. Doch er beschreibt in einer erstaunlichen Frische den menschlichen Sturkopf, unsere Ignoranz und Hartnäckigkeit. Jeremia leidet wahrhaftige Qualen, wenn er beobachtet, wie die Menschen Jerusalems sehenden Auges in ihr Unglück rennen.

Text (Jörg Metzinger)

Du schlägst sie, aber sie fühlen’s nicht; du machst fast ein Ende mit ihnen, aber sie bessern sich nicht

Text (Peter Sorg)

Der Bibel ist nichts Menschliches fremd. Mord und Totschlag, tödliche Fallen, die man Ehemännern stellt, um an deren Gattin, das Objekt der Begierde, zu gelangen. Inzest, der nach der Sintflut das Fortbestehen der Menschheit sichern soll.

Aufgabe der Propheten war es, den Menschen einen Spiegel vorzuhalten. So macht es Jeremia und erkennt rasch, dass er an der Dickfelligkeit seiner Landsleute scheitert. Da denkt er sich: Ich habe ja noch ein Ass im Ärmel. Die Eliten werden nicht so lemminghaft in ihr Unglück rennen und richtet sich an die Mächtigen und Bedeutenden seines Volkes.

Denkste! Der Fisch stinkt vom Kopf. Wie’s Gescherr, so der Herr. Was tun? Unser einsamer Rufer verhärtet sich selber.

Das kennen wir doch, oder? – Dann renn ich halt mit dem Kopf gegen die Wand!

Musik: Hildegard Knef: Auf der Insel meiner Angst

Text (Peter Sorg)

Jeremia verschafft sich Luft mit Horror-Fantasien, ähnlich wie mancher heute bei social media:

Text (Jörg Metzinger)

Darum wird sie auch der Löwe aus dem Walde zerreißen, und der Wolf aus der Steppe wird sie verderben, und der Panther wird um ihre Städte lauern; alle, die von da herausgehen, werden zerfleischt. Denn ihre Sünden sind zu viele, und sie bleiben in ihrem Ungehorsam.

Text (Peter Sorg)

Das kenne ich: Wenn ich die eigene Hilflosigkeit spüre, erkenne dass ich nicht durchdringe, geht die Fantasie mit mir durch:

All die Aggressoren, die junge Menschen als Kanonenfutter verheizen, die soll hm, hm …  Na, das spreche ich besser nicht aus.

Da kommen mir so manche in den Sinn, die im Trüben fischen:

Solche, die Demokratie subtil annagen. Orientierung suchende, verirrte Menschen werden gezielt missbraucht, indem man ihnen weismacht, komplexe Probleme könnten simpel gelöst werden.

Andere opfern sich scheinbar auf für das Gemeinwohl, und kochen heimlich ihr mit eigenen Vorteilen gewürztes Süppchen. Der Eigennutz kennt viele Maskierungen. Erkennt man die Absicht, ist man verstimmt, besten Falls, manchmal möchte man aber …

Und dann fällt mir Wolf Biermann ins Wort. Wie ein kluger Lebensberater rät er: bleib bei dir. Dein Gesicht soll nicht zum Spiegel deiner Gegner werden. Das wollen die doch bezwecken.

Du, lass dich nicht verhärten

in dieser harten Zeit.

Die allzu hart sind, brechen,

die allzu spitz sind, stechen

und brechen ab sogleich.

Danke, Wolf! Darum geht es: „Mensch bleiben!“.

Beweglich bleiben, weich und sanft, mit lebensrettendem Humor, statt hart und spitz zu werden. Dann kann der Hass mich nicht verunstalten oder gar brechen!

Du, lass dich nicht verbittern

in dieser bittren Zeit.

Die Herrschenden erzittern

– sitzt du erst hinter Gittern –

doch nicht vor deinem Leid.

Auch die Bibel ist voller Ermutigungen: Hebräer 12

Text (Jörg Metzinger)

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.

Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte.

Text (Peter Sorg)

Biermann hat es persönlich und in seinem Umfeld immer wieder erfahren müssen. Autoritäre Systeme fackeln nicht. Sie schlagen zu. Sie sperren ein. Und unsere Gedanken bei diesem Fest der Ermutigung und Befreiung, Pfingsten, sollten bei den Unfreien und Unterdrückten sein:

  • Den Weggesperrten und den von Haft bedrohten Journalisten und Bloggern,
  • den religiös Verfolgten,
  • den queeren Menschen, die in bestimmten u.a. muslimischen oder christlich orthodoxen Ländern um Leben und Gesundheit fürchten,
  • den Aufrechten im deutschen Osten, denen eine faschistische Nachbarschaft an den Kragen gehen möchte,
  • unseren jüdischen Geschwistern, die unter Sicherheitsvorkehrungen ihren Schabbat und ihre Feste feiern,
  • den Menschen im Gazastreifen, die von einem autonomen Leben nur träumen können.

Die Geschichte wie die aktuellen Zeitläufe verteilen bittere Pillen in Hülle und Fülle. Wer wach in die Welt schaut, läuft Gefahr, selber bitter zu werden.

Und ich weiß nicht so recht, ob Biermann unter dem Dauerfeuer der Stasi-Beobachtung und permanenter Einschüchterung sich selbst getröstet hat mit den Zeilen:

Die Herrschenden erzittern

– sitzt du erst hinter Gittern –

doch nicht vor deinem Leid

Ja, es gibt Menschen, die immun sind für menschliches Leid. Und diese wissen, wie man mundtot macht. Für ihre Machtpläne schicken sie die, die sich in den Weg stellen ins Gefängnis (ein juristischer Grund findet sich immer).

Für ihr Herrschaftsträume schicken sie die Jugend ihres Volkes ins Feuer und in den Tod. Und deren Familien erzählt man, sie hätten ein großartiges Opfer gebracht. Aber deren Victor, Vladimir, Jewgeni, ihr Adjom hätten eine Zukunft gehabt und Leben und Liebe. Und genauso Makarios, Miriam, Nader, Layla oder Yusuf und Nur im Sudan und anderswo.

Musik: Wolf Biermann: Große Ermutigung

Text (Peter Sorg)

Bei diesem Sänger hatten sich die Mächtigen verrechnet. Seine Verfolgung und Einschüchterung machten ihn populär, seine Ausbürgerung nur noch lauter.

Ich denke an die die, die heute hinter Gittern sitzen, weil sie Unrecht benennen. Für sie gilt es zu beten.

Musik: Hildegard Knef: Protest eines Denkmals

Text (Peter Sorg)

Aus genau dieser Lage spricht der Psalmbeter des 35. Psalms:

Text (Jörg Metzinger)

Denn sie reden nicht, was zum Frieden dient,

und ersinnen falsche Anklagen wider die Stillen im Lande.

Sie sperren das Maul weit auf wider mich

und sprechen: »Da, da, wir haben es gesehen!«

HERR, du hast es gesehen, schweige nicht;

HERR, sei nicht ferne von mir!

Wache auf, werde wach, mir Recht zu schaffen

und meine Sache zu führen, mein Gott und Herr!

HERR, mein Gott, verhilf mir zum Recht nach deiner Gerechtigkeit,

dass sie sich nicht über mich freuen.

Lass sie nicht sagen in ihrem Herzen: »Da, da! Das wollten wir.«

Lass sie nicht sagen: »Wir haben ihn verschlungen.«

Text (Peter Sorg)

Unschuldig verdächtigt, ja angeklagt zu sein, ein Trauma.

»Da, da, wir haben es gesehen!« – »Da, da! Das wollten wir.« – »Wir haben ihn verschlungen.«

Es ist ein scheinbar zeitloser Mechanismus, auf solche Weise Seelen zu zerstören. Nachweislich ist der hocheffizient. Gibt es da eine Gegenwehr? Gegen dieses hämische:

»Da, da, wir haben es gesehen!« Dieses kindische mit Fingern zeigen.

Der Psalmist ruft:

HERR, du hast es gesehen, schweige nicht;

HERR, sei nicht ferne von mir!

Wache auf, werde wach, mir Recht zu schaffen

und meine Sache zu führen, mein Gott und Herr!

HERR, mein Gott, verhilf mir zum Recht nach deiner Gerechtigkeit,

dass sie sich nicht über mich freuen.

Wenn ich mich in Bedrängnis fühle, darf ich nicht allein sein. Sonst ist die Gefahr groß, sich zu verstecken, zu resignieren, den Kopf in den Sand zu stecken oder abgenutzt, stumpf zu werden.

Das Unterhaken, einander beizustehen ist überlebenswichtig, damit es die Dunkelmänner der Welt es nicht dunkel werden lassen in unseren Seelen.

Du, lass dich nicht verbrauchen,

gebrauche deine Zeit.

Du kannst nicht untertauchen,

du brauchst uns und wir brauchen

grad deine Heiterkeit.

Heiter bleiben. Was für eine wunderbare Aufforderung. Es ist der erste Schritt aus der Hilflosigkeit und Isolation.

Wir brauchen dich und deine Heiterkeit.

Und ich erweitere: Gott braucht dich und deine Heiterkeit, die ein Zeichen setzt gegen den Hass, Unterdrückung und Brutalität der Welt.

Christen – und nicht nur sie – dürfen das Prinzip Hoffnung leben. Hoffnung, die ansteckt, die unbequem sein kann, aber auch heiter. Ihre Farbe ist grün und sie soll hörbar sein.

Wir wolln es nicht verschweigen

in dieser Schweigezeit.

Das Grün bricht aus den Zweigen,

wir wolln das allen zeigen,

dann wissen sie Bescheid.

Musik: Nina Hagen: Ermutigung

 

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