Michelangelos Nackte

Heiliges Jahr in Rom – und mitten drin die Sixtinische Kapelle. Eines der Kunst-Highlights der Menschheitsgeschichte. Gott streckt energisch seinen Finger und belebt die schlaffe Hand Adams. Sozusagen der Beginn der Schöpfung und des Menschen. Was brav biblisch anmutet, ist damals ein Skandal. Der Papst hat nämlich ein ganz anderes Motiv beim Künstler bestellt. Die Apostel, sozusagen die Stars der Kirche und daneben der Papst selber. So hat er sich das gewünscht – ein bisschen Heldenverehrung für sich selbst, eingebettet in die Oberheiligen der Kirche. Bei so viel Herrscherkult hat Michelangelo nicht mitgemacht. In einer Zeit, als in Deutschland die Reformation beginnt und die einfachen Christinnen und Christen immer selbstbewusster werden, ist ein alleinherrschender Papst nicht mehr in. Stattdessen die Schöpfung, alle Menschen gleich und – wie bei Adam in der Sixtinischen Kapelle zu sehen – nackt. Das war dann endgültig zu viel für den Vatikan. Einer aus dem Hofstaat des Papstes, der sich besonders über den Künstler aufregt, taucht dann selbst im Gemälde auf – schmorend in der Hölle mit verkniffenem Gesicht – und eben auch nackt. Alle sind gleich und stehen nackt vor Gott – bei Michelangelo und seiner Kapelle gerade kein Skandal, sondern ein Gottesgeschenk. Auch, wenn Autokraten und Spießbürger damit bis heute vielleicht ein Problem haben.