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Lindigkeit

Es gibt Wörter, die sind akut vom Aussterben bedroht. Lindigkeit gehört dazu. Taucht in Martin Luthers Bibelübersetzung vor gut 500 Jahren auf. Da hieß es: Eure Lindigkeit laßt kund sein allen Menschen.

Leider ist dieses schöne Wort in modernen Bibelübersetzungen durch „Güte“ ersetzt worden. Wie schade! Denn Lindigkeit beinhaltet so viel mehr: Da schwingen auch Milde, Sanftheit, Nachsicht und Weichheit mit. Das umhüllt einen wie ein zartes Tuch.

Mit dem Verschwinden solcher Wörter geht auch der Reichtum ihres Inhalts verloren. Wir werden – gelinde gesagt – ärmer. Das Gefühlsspektrum schrumpft, wenn, wie in diesem Fall, nur noch von Güte die Rede ist.

Auch das linde Lüftchen fällt weg, die wohltuend zarte linde Hand.

Mit was ließe sich das heute ersetzen? Jemand machte mir den Vorschlag: ein softes Lüftchen. Mal ehrlich: Ist das zufriedenstellend? Mir fällt da Softeis ein, oder der Softie…

Lind hat übrigens nichts mit dem Baum namens Linde zu tun. Es kommt vom lateinischen lentus, was so viel wie biegsam und geduldig bedeutet.

Daraus ist Lindigkeit hervorgegangen, als eine Haltung zum Gegenüber. Wer seine Lindigkeit den Menschen kund werden lässt, der behandelt sie – auf liebevolle Art – nachsichtig, freundlich, sachte und sicher auch wohlmeinend.

Ja, manche Wörter sollten einfach wieder zum Leben erweckt werden, damit alle Facetten, die sie in sich bergen, wieder Bestandteil unseres Gefühlsspektrums werden. Lindigkeit lässt sich mit einem Wort nicht beschreiben. Und genau das macht den Reichtum aus.