Kann Spuren von Müssen enthalten!
Im Supermarkt stehe ich vor dem Regal mit der Schokolade. Gerade möchte ich eine Tafel in den Wagen legen, da fällt mir ein Hinweis auf, der hinten auf der Packung steht: „Achtung! Dieses Produkt kann Spuren von Nüssen enthalten.“ Eine Warnung für Allergiker. Betrifft mich zum Glück nicht, denke ich. Das ändert sich allerdings total, wenn ich nur ein bisschen was ändere an diesem Warnhinweis. Dann wird aus: Dieses Produkt kann Spuren von Nüssen enthalten – Dieser Tag kann Spuren von Müssen enthalten.
Ich zumindest erlebe das ständig. „Du musst noch dieses tun!“ Ständig sagt das jemand zu mir. Und wenn es meine innere Stimme ist. Heute Morgen zum Beispiel hat die gesagt: „Du musst noch Dein Büro aufräumen!“ Wenn ich ehrlich bin, nervt mich das. Wie eine Allergie. MÜSSEN – das klingt nach Unausweichlichkeit und nach Zwang. Und damit für mich auch ein bisschen nach Gefängnis. Der 107. Psalm beispielweise spricht davon, dass Menschen nicht nur in Eisen gefangen sein können, sondern auch im Zwang.
Klar, es gibt tatsächlich Dinge, die MUSS ich machen. Wenn ich krank bin, muss ich zum Arzt gehen. Wenn es irgendwann so weit ist, muss ich sterben undsoweiter. Aber daneben gibt es jeden Tag ganz viel MÜSSEN, das eigentlich gar kein Müssen ist, sondern sich nur getarnt hat. Weil irgendjemand möchte, dass ich dieses oder jenes tue. Schnell. Unbedingt. Und am besten mit hoher Priorität. Obwohl dazu eigentlich gar kein Anlass besteht.
Ich habe mir deshalb vorgenommen, das Wort „müssen“ in Zukunft genauer unter die Lupe zu nehmen. Was ist ein echtes „Müssen“ und was ein falsches? Was muss ich tatsächlich tun und was nicht? Der Warnhinweis auf der Tafel Schokolade jedenfalls hat bei mir schonmal geholfen – wenn auch in leicht abgewandelter Form: Achtung! Dieser Tag kann Spuren von Müssen enthalten.