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Imma schön Mänsch blaiben!

In meiner Jugend gab es in Deutschland einen Komiker, heute hieße das wahrscheinlich einen ‚Stand Up Comedian‘: Jürgen von Manger. Seine Bühnenfigur war ein Ruhrgebietskumpel, etwas tumb und hölzern, der stets über die eigenen Sprachhemmnisse und Formulierungsversuche stolperte. Aber das virtuos, bauernschlau und stets mit dem Herz am rechten Fleck. Adolf Tegtmeier. Legendär war dessen Motto: Imma schön Mänsch blaiben! Im schönsten Ruhrgebiets-Slang wurde da gefordert, doch bitte nicht das Maß zu verlieren. Auf dem Teppich zu bleiben, die Kirche im Dorf zu lassen.

Imma schön Mänsch blaiben!, mir scheint das ein Motto zu sein in rauen Zeiten. Beim ‚Hate Speech‘ im Netz hat man den Eindruck, dass das Wörterbuch des Unmenschen den Duden abgelöst hat. Die Brutalität nimmt zu. Höhepunkt ist der Krieg in der Ukraine wenige Stunden von hier. Krieg ist der Verlust aller menschlichen Werte. So sagte es einmal ein Freund, der hoher Offizier ist. Aus Worten werden Bomben.

Heilig Abend erinnert uns an ein christliches Menschenbild, das niemals dem Hass das Wort reden kann. Frieden auf Erden sagen die Engel. Mänsch blaiben! sagt Tegtmeier. Und was sagt Gott? Mensch werden! sagt Gott. Die Geburtsgeschichte ist der Urknall des christlichen Glaubens. Gott, der den Menschen nach seinem Bilde schuf, wie es das Alte Testament sagt, der treibt es sozusagen auf die Spitze: Er wird Teil seiner Schöpfung. Gott wird Mensch. Er kommt in dem Juden Jesus aus Nazareth zur Welt. Vaterschaft ungeklärt. In Israel Palästina. Die überrumpelte Maria, seine Mutter, ist noch nicht verheiratet. Die Geschwister kamen später. Ehelich, wie es sich gehörte.

Jesus ist Gott in Menschengestalt. Gott wird Mensch mit Leib und Seele, Gesicht und Namen. Wenn wir das kapieren, dann ist dieser Mensch jüdisch, asiatisch, braun oder schwarz, europäisch, rothaarig und mit Sommersprossen, trägt Rastazöpfe, ist beschnitten oder nicht, isst koscher oder halal, Bio oder Fast-Food und hat eine Unmenge Lebensweisen, sexuelle Orientierungen, religiöse Denkgebäude, Frömmigkeitsstile und den Atheismus entwickelt.

Das Menschengesicht Gottes ist unfassbar vielfältig. Alle kommen wir nackig zur Welt. Die einen mit einem silbernen Löffel im Mund, die anderen in Kellern und U-Bahnhöfen. Die einen mit besten Startbedingungen, die anderen mit Handicaps. Alle kommen wir nackig zur Welt. Die Karrieristen wie die Abgehängten, der Feingeist wie der Stiernacken mit dem Hass-Tattoo. Und alle gehören zur Gattung Mensch. Jeder ein Gotteskind.

Weihnachten schenkt Courage: Es lohnt sich, mein gottgeschenktes Menschengesicht zu bewahren. Es lohnt sich, der Gefühllosigkeit zu widerstehen. Es lohnt sich, sensibel zu bleiben statt abgebrüht zu sein. Es lohnt sich, an die Liebe zu glauben, auch wenn der Hass einen höhnisch auslacht.

Mensch bleiben, sagt Tegtmeier. Mensch werden, sagte Gott. Lohnt doch!

 

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