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„Filmst Du noch oder lebst Du schon?!“ – Eph 5, 16

„Ach war das genial!“ denke ich, schließe die Augen und wie ein Film spielt sich vor meinem geistigen Auge noch einmal das Konzert ab, auf dem ich neulich gewesen bin. Alles ist wieder da: die Bühne, die Musiker, die Lichteffekte und die jubelnden Zuschauer. Ja, und wenn ich ganz genau hinspüre, kann ich sogar wieder den Bass spüren, der mir im Magen gekribbelt hat. Doch obwohl das Konzert der absolute Hammer war, hat mich da doch etwas gestört. Und zwar all diejenigen, die wirklich gefilmt haben.

Wo mir früher jubelnde Hände die Sicht auf die Bühne versperrt haben, musste ich nun in ein Meer aus Smartphone-Bildschirmen gucken. Unzählige Fans haben das Konzert mitgeschnitten. Ist ja heute kein Problem mehr dank der neuen Technik. Ich habe mich allerdings gefragt: Kann man überhaupt ein Konzert auf diese Weise einfangen? Ich meine die Stimmung und all das, was ein Konzert zu etwas Besondern macht? Verpasst man bei der Filmerei nicht das Wesentliche, nämlich den Augenblick mit allen Sinnen zu genießen?

Alle die Handyfilmer auf dem Konzert hätte ich am liebsten gefragt: Filmst Du noch – oder lebst du schon?! Ich habe immer mehr den Eindruck, viele Menschen sehen ihr Leben nur noch durch einen Handybildschirm. Ihr Blick auf die Welt reduziert sich auf 4,7 Zoll und alles wird durch die Kamera gefiltert. Ist doch echt schade! Denn an was werden sich diese Hobbyfilmer noch erinnern, wenn sie ein paar Wochen später an dieses Konzert denken? Erinnern sie sich an die Show oder daran, wie sie gefilmt haben?

Mal ganz abgesehen davon, dass ein Handyvideo doch nur eine sehr zweidimensionale Erinnerung ist, die man irgendwo in den Tiefen des Telefonspeichers ablegt. Eine echte Erinnerung hat aber doch viel mehr Dimensionen. Und die sind so komplex, dass sie sich selbst mit modernsten digitalen Hightech-Geräten nicht aufzeichnen lassen. Dazu braucht es schon das menschliche Erinnerungsvermögen. Das ist da viel leistungsfähiger. Denn es erinnert sich an die Lautstärke, die Wärme im Konzertsaal, den Schweißgeruch des Nachbarn, die Bässe, die durch Mark und Bein gingen, ja sogar welches Wetter am Konzerttag war, wie und mit wem man zur Konzerthalle gekommen ist. Das alles kann ich ganz ohne Hilfsmittel aufzeichnen, in meinem Gedächtnis. Voraussetzung ist natürlich, dass ich mich ganz und gar auf den Augenblick einlasse und ihn ganz bewusst er-lebe und nicht „er-filme“.

Warum versuchen wir eigentlich, alles aufzuzeichnen? An was klammern wir uns dabei? Bei dem krampfhaften Versuch so viel wie möglich von unserem Leben digital festzuhalten, verpassen wir die Gelegenheit, einfach einmal loszulassen und sich einer Sache voll hinzugeben. Das Einzige, was dabei rauskommt, ist ein oftmals verwackeltes Video von gruseliger Qualität. Ein Video, von dem wir glauben, dass wir es uns in Zukunft noch ganz oft ansehen werden. Entweder auf dem Smartphone oder auch auf dem Computer oder Tablet. Doch wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass das Video irgendwo auf der Speicherkarte des Smartphones verstauben wird. Welch ein vergeudeter Augenblick unseres Lebens!

„Kauft die Zeit aus!“ sagt der Apostel Paules deshalb an einer Stelle im Epheserbrief. Ihm geht es dabei um das restlose Auskosten der Zeit, die einem gegeben ist. Denn wie schnell kann wieder alles vorbei sein? Ein Konzert zum Beispiel dauert ja auch nicht länger als zwei oder drei Stunden. Und auch unser Leben wird eines Tages ein Ende haben. Deshalb appelliert Paulus, den Augenblick voll und ganz auszuschöpfen.

Ich höre Paulus Worte wie einen Weckruf, der mich daran erinnert, dass es wichtig ist, die Welt mit den eigenen Sinnen zu entdecken, mit all seinen Dimensionen und nicht durch die Linse einer Kamera! Nur so kann ich etwas mitnehmen, was wirklichen und dauerhaften Wert für mein Leben hat: nämlich Erinnerungen, die mir keiner nehmen kann, und die ich auch ohne Smartphone immer bei mir tragen und abrufen kann.