Fast unmöglich
Meine Mutter konnte nicht Lehrerin werden. Das Geld reichte nicht, damals, kurz nach dem Krieg. Denn ihr Vater wurde als Bürgermeister von Alt-Nazis mit falschen Beschuldigungen in den Knast gebracht. Da das Justizsystem in dieser Zeit heillos überfordert war, dauerte es, bis er wieder rauskam. Und auch wenn die ganzen Vorwürfe sich als späte Rache des Nazi-Nachbarn herausgestellt haben, hat es mit dem Traumberuf meiner Mutter nicht geklappt.
Aber was fängt man mit solchen Nachbarn an? Meine Gedanken gehen spontan nach Syrien oder in die Ukraine. Dort sind auch hässliche Dinge geschehen, im Großen wie im Kleinen. Kann man so was vergeben? Den unbeschreiblichen Schmerz, aber auch ganz konkret: kann ich den Folterern und Henkern und Denunzianten vergeben? Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Spruch aus der Bibel wird von Jesus auf verstörende Weise verändert. Wenn dir einer auf die eine Backe schlägt, halt ihm auch die andere hin – und gipfelt schließlich im Vorschlag, seine Feinde zu lieben. Angesichts der persönlichen Erlebnisse mit Unrecht und Gewalt sagt sich das so leicht. Aber vermutlich steckt die Weisheit darin, irgendwann einen neuen Anfang zu machen. Im konkreten Fall: wenn nicht jetzt, wann dann? Bei aller Vergebungs-Kraft, die das von den Opfern verlangt. Oder, wie meine Mutter es mir damals mit Blick auf die Nachbarn erklärt hat: wir werden das menschenverachtende Denken dieser Leute niemals gut finden. Aber wir müssen es schaffen, sie irgendwann wieder zu lieben, auch wenn es vermutlich mehr Kraft braucht, als das Unrecht selber zu ertragen.