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Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt

Kennen Sie das auch? Solche Tage, an denen viel zu viel auf dem „Zu-erledigen-Zettel“ steht. Man gerät mehr und mehr unter Druck. Und der besteht aus dieser perfiden Mischung von objektiver Aufgabenfülle und einem recht subjektiven Perfektionsdrang. Es fühlt sich an, als sei man zwischen die Backen einer Industriepresse geraten. Von oben drückt der äußere Zwang und von unten hält der innere Anspruch dagegen.

Die Reaktion? Ich werde immer kribbeliger und fahriger und gewinne den Eindruck, gleich fällt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Und dann ertönt er, der große Blubb, den sonst niemand vernimmt, der aber das Fass meines geregelten Seelenhaushaltes überlaufen lässt. Dann ist der Punkt erreicht, an dem man heulen möchte, was man sich als Mann aber selbstredend verbeißt.

Dieser Tage war es wieder so weit:

Meine Hauptaufgabe war es, eine alte Dame durch die Saarbrücker Innenstadt zum Augenarzt zu befördern. Das geht am besten mit dem Umstiege ersparenden Rollstuhl. Für einen nicht routinierten Schieber jedoch durchaus eine körperliche Herausforderung. Hinzu kam die Anspannung, ob die neue Therapie auch angeschlagen hat. Hat sie. Rücktransport. Erfolgreich.

Danach mit dem Fahrrad in die Apotheke. Geschafft. Jetzt kann es heimgehen. Aber was ist das!? Ich stehe vor meinem Elektrorad und suche den Ring mit den beiden Schlüsseln für die Fahrradschlösser. Die übliche linke Hosentasche – Fehlanzeige. Es gibt ja noch eine rechte. Und Jackentaschen. Gefühlt ein Dutzend an einer Funktionsjacke. Alles Mögliche kommt zum Vorschein – aber keine Schlüsselchen. Die Fahrradtaschen, der Rucksack mit Tiefen wie Untiefen: alles Umpacken nützt nichts. Das vermisste Schlüsselpaar bleibt verschollen. Dafür steigen Puls und Blutdruck um die Wette.

Der Wasserspiegel im Fass meiner Gemütsverfassung zittert merklich und -blubb – läuft er über. Auch der Jammeranruf bei der Gattin, die stets ruhig Blut bewahrt, schenkt keine Erleichterung.

Also, ab in den Bus und nach Hause. Auf den zweiten Blick zeigen sich dort auch die versteckten Zweitschlüssel im Schlüsselkasten. Wieder zum Bus und ab in die Innenstadt. Nachschlüssel müssen her, da ich ja nur noch ein einziges Paar besitze. Die Wucherrechnung begleiche ich mit einem kühlen Lächeln. Zurück zum Rad. Hurra, die Schlüssel passen. Erleichtert ziehe ich das Velo aus dem Ständer. Und da macht es nicht blubb. Nein: klirr. Ein sanftes, metallisches Klirren. Und da liegt es, das vermisste Schlüsselpärchen, auf dem Trottoir der Faktoreistraße.

Ein aufmerksamer Mitmensch hatte wohl bemerkt, dass die Schlüssel, die einen problemlosen Diebstahl des teuren Gefährts ermöglicht hätten, im Schloss steckten. Darum schloss er ab und versteckte die Schlüssel zwischen den zahlreichen Kabeln am Lenker.

Fazit:

·        Ich besitze jetzt drei Schlüsselpaare.

·        Meine maximale Aufregung wich einer großen Erleichterung und ebenso der Druck aus dem Kessel.

·        An dem Spruch mit dem Lichtlein, das irgendwo herkommt, wenn… – na Sie wissen schon, ist doch was dran.

·        Und drittens: Die Welt besteht nicht nur aus Gerissenen und Hemmungslosen. Es gibt auch viele Gute, und manchmal schickt einem der Liebe Gott solch einen Menschen über den Weg.

·        Und, damit ich es nicht vergesse: Danke an meine Retterin oder meinen Retter. Ich versuche künftig besser aufzupassen.