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Der Gott des Vergessens

Der Schlaf ist ein Gott des Vergessens. Was mich abends noch belastet, beim Zubettgehen, das ist morgens beim Wachwerden vielleicht nur noch halb so wild. Siebzigmal geträumt ist so gut wie einmal vergessen. Auch, wenn bei allem Vergessen die Spuren in mir noch bleiben. Manchmal prägend für ein Leben. Spuren bleiben spürbar. Aber auch ihnen hilft heilsamer Schlaf. Nimmt Schmerzen aus alten Erinnerungen, bewahrt vor Rachephantasien und Wut.  Der Schlaf des Vergessens. Er hilft mir, mein Leben neu zu gestalten. Der Schlaf ist da ein heilsames Mittel. Geradezu göttlich. Der Gott des Vergessens hat nichts mit Dummheit zu tun oder Augenverschließen vor dem, was passiert ist. Der Gott des Vergessens ist die Chance auf eine Zukunft, die Wunden überwindet. Nicht nur auf mich und mein eigenes Leben bezogen. Eher als Hoffnungsprogramm für eine zerstrittene Weltgemeinschaft. Der Schlaf des Vergessens würde ihr manchmal guttun. Ukrainer und Russen kann er vielleicht irgendwann einmal wieder in Frieden zusammenbringen. Wo es vermutlich so unendlich viel braucht für eine Versöhnung. Die natürlich mit Gerechtigkeit zu tun hat. Damit, dass die Täter sich bei ihren Opfern entschuldigen. Und dass ihre Verbrechen geächtet bleiben. Und dazu noch den Schlaf als Gott des Vergessens. Weil nur göttlich-verzeihendes Vergessen zum Frieden führt. Übermenschliche Kraft braucht es für Menschen dazu, oder ganz einfach solchen Schlaf. Auf den Trümmern der Gegenwart. Dort, wo der Frieden so unerreichbar fern scheint. Irgendwann sogar den Feind lieben. Genau dazu wird es ihn brauchen. Den Schlaf als heilsamen Gott des Vergessens.