Der Fotograf
Ich habe eine ausgeprägte Leidenschaft: die Fotografie. Sie begleitet mich seit Studententagen.
Seither habe ich eine Vorliebe für vielleicht etwas ungewöhnliche Motive. Einst waren das z. B. Kinder, die die Kunst im öffentlichen Raum eroberten. Es faszinierte mich, wenn sie ohne Scheu auf Skulpturen kletterten und diese zu ihrem Spielgerät machten. Da bleibt das Objektiv heute gesenkt, auch wenn es in den Fingern juckt, den Moment zu bannen.
Gleiches gilt für die Obdachlose, aus deren Gesicht man ablesen kann, wie es ist, zweimal im Leben falsch abgebogen zu sein. Menschen, denen man ansieht, dass sie einmal bessere Tage gesehen haben. Da wage ich nicht, den Auslöser drücken. Die Privatsphäre ist in unserer Zeit, in der gerne Privatestes und Intimes medial ausgepackt und präsentiert wird, ein hohes Gut. – Ich habe keine Lust, mir da Ärger einzuhandeln.
So habe ich mich auf andere Motive verlegt. Bronzene Brunnenfiguren etwa.
Es ist ein hochästhetischer Gegenstand. Menschliche Körper im Idealmaß, Fische, Vögel, Delfine, Fabelwesen. Alle landen sie im Speicher der Kamera.
So auch mein zweiter Favorit. Das sind Hinterhöfe. Das Gegenteil der gelackten Vorderfront. Da blättert und rieselt es. Überall liegt etwas herum. Die Baukörper bilden ein geordnetes Chaos. Würfel, Quader, Kuben sind bunt zusammengewürfelt und selten im rechten Winkel. Eine scheinbar willkürliche Geometrie, die doch einmal ersonnen, konstruiert und dann verändert wurde mit saarländischem Anbau um Anbau; und über alldem thront gnädig der Saarbrücker Himmel.
Dieses Motiv ist Ziel von zahlreichen meiner Foto-Ausflüge.
Dieser Tage erlebte ich jedoch mein blaues Wunder. „Warum fotografieren Sie das?“ Mit entschlossen klingendem Organ hielt eine Dame auf mich zu, als ich gerade ein in die Jahre gekommenes Schild fotografierte, das „Vor dem Hunde“ warnte. „Weil es mir gefällt?!“ Meine Antwort zeigte keine beschwichtigende Wirkung. „Sie haben aber auch schon da vorne in den Hinterhof fotografiert!“ – Oha!
Die Dame hatte eine verständliche Angst, ausspioniert zu werden. Ich packte alle mediatorischen Fähigkeiten aus, erzählte von meinen künstlerischen Ambitionen, auch dass bei uns neulich in der Nachbarschaft eingebrochen wurde und dass ja wirklich viel passiert.
„Na, ich will ihnen das mal glauben. Aber Sie wissen, dass Sie die Zustimmung des Hausherrn brauchen!“ Ihre Stimme ließ das abgrundtiefe Misstrauen, das in ihr rumorte, deutlich durchschimmern.
Der alte weiße Mann und die alteingesessene Dame kamen nicht zusammen.
Ich war verblüfft, falle ich doch eher nicht in das Raster „Typischer Einbrecher bei der Tatvorbereitung“. Ist es nicht traurig? Der öffentliche Raum ist ein klassischer Ort der Begegnung. Und genau da begegnete mir diese Mischung aus Angst und Misstrauen.
Befürchtungen und Ängste haben natürlich Gründe. Sie sind von schlechten Erfahrungen genährt oder wenigsten von Erzählungen davon.
Eines ist aber bemerkenswert: Jene Anwohnerin hat mich nicht nach äußeren Merkmalen dem Kreis der Unschuldslämmer zugeordnet: Weißhaarig, Brillenträger, in die Jahre gekommen und von mäßiger körperlicher Fitness.
NEIN. Sie machte kein ‚Racial Profiling‘, sprich: sortierte nicht an äußerlichen Merkmalen, hell gegen dunkel, alt gegen athletisch, nordeuropäischer Typ gegen Südländer.
Ihr waren alle gleich verdächtig.
Und so gesehen, gehöre ich dann doch gerne zur Gruppe der „üblichen Verdächtigen“.