Cancel culture
Abkanzeln lässt sich keiner gern. So wie der Pfarrer auf der Kanzel, der mit moralinsauren Worten seiner Gemeinde etwas verbieten will. Moderne Menschen lassen sich das nicht mehr gefallen. Wobei: Abkanzeln findet heute woanders statt. Cancel culture – zu Deutsch so viel wie Abkanzel-Kultur, ist ein spannendes Phänomen im Internet. Vieles darf man nicht mehr öffentlich sagen, ohne sich zu blamieren. Alte Otto-Waalkes-Sendungen erhalten einen Warnhinweis, Kinderbuch-Klassiker sollen überarbeitet werden. Und: darf man heutzutage überhaupt noch Mohren-Apotheke heißen? Eine gibt’s noch im Saarland. Auf eine andere in Wuppertal wurde vor einiger Zeit ein Anschlag von gewaltbereiten Aktivisten verübt. Dazu bekam der Apotheker den Shit-Storm der Community ab. Dass die Mohren als Meister mittelalterlicher Heilkunst hier eher als Kompliment gedacht sind, ist da schnell zweitrangig.
Begegnungen mit der Cancel Culture sind für die Betroffenen oft sehr schmerzhaft. Manchmal führen sie zum Verlust der Ehre, des Berufs, des Lebens. Gerade durch die Anonymität des Internets ist der Ton rau und ohne Rücksicht auf Betroffene. Hier haben Christinnen und Christen aus eigener Erfahrung gelernt, in der Sache klug und hart zu streiten, aber auch andere leben zu lassen – manchmal sogar im Wortsinn.
Cancel Culture als spannender Prozess um neue Wahrheiten und die Macht, seine eigene Meinung stark zu machen. Nie war es so aufregend, gefährlich, aber auch noch nie so spannend wie heute.