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Bürgermeister ohne Bürger

Er ist Bürgermeister ohne Bürger: Jean-Pierre Laparraist Ortschef des kleinen lothringischen Dorfes  Fleury-devant-Douaumont. Vor 100 Jahren ist dort das Leben erloschen.16 mal hat das Dorf während des 1. Weltkrieges im Verlauf der Kämpfe um Verdun den Besitzer gewechselt. Kein Stein ist mehr auf dem anderen geblieben.

Wer heute das  Gelände dort besichtigt, ist gut beraten, auf den Wegen zu bleiben. Abseits davon werden nämlich immer wieder Blindgänger und anderes Kriegsgerät, sowie menschliche Knochen gefunden. Insgesamt gibt es bei unseren Nachbarn in Frankreich neun dieser völlig vernichteten Orte. Sie zählen zu den sogenannten Zerstörten Dörfern , den Villages détruits, die nicht wiederaufgebaut wurden. Der ohnehin karge Boden der Maas-Höhen rund um die Gemeinde war verseucht durch Sprengstoffe, Munitionsreste, durch Giftgas, Leichen und Kadaver, so dass viele Bauern den Boden nicht mehr bestellen konnten. Fleury-devant-Douaumont ist nur noch eine leere Hülle. Aber der Ort hat eine Postleitzahl, und es gibt eben einen Bürgermeister, der vom Präfekten des Departements Meuse bestimmt wird. Jean-Pierre Laparra ist Bürgermeister „um die Seele der Dörfer zu bewahren“. Weil heute keine Franzosen mehr leben, die in Fleury geboren sind, muss der Bürgermeister das alleine tun.

Vor zwei Jahren wurde in Fleury der kleine Fernand Otto symbolisch auf die Republik getauft. Es war keine kirchliche Taufe. In Frankreich gibt es die Möglichkeit einer weltlichen Taufe durch den Bürgermeister, um ein Kind in der Gemeinschaft willkommen zu heißen. Mich erinnert Fernand Otto an einen Vers aus dem 133. Psalm. Da heißt es: „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“.

Der Junge ist das Kind einer Französin und eines Deutschen. Das Baby von zwei Menschen, deren Völker sich vor 100 Jahren bekriegt haben. Die nicht als Schwestern und Brüder gelebt haben, sondern als Feinde, die nun – seit vielen Jahrzehnten – Freunde geworden sind. “Vielleicht wird der kleine Otto ja irgendwann mein Nachfolger in Fleury”, sagt der Bürgermeister lächelnd. Dann lässt er die Kraterlandschaft auf den Maas-Höhen hinter sich und fährt zurück nach Verdun.