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Begegnung

„Hier bin ich zum ersten Mal in meinem Leben Engeln begegnet.“ Andreas hat leuchtende Augen, als er mir dies sagt. Er erzählt mir auch von seinem oft traurigen Leben, den Erfahrungen von „Nicht akzeptiert werden“ und von einem lebenslangen Sich-Verstellen-Müssen. Seinem Kampf um Anerkennung und Liebe, den er nur allzu oft verloren hat. „Aber hier begegne ich täglich Engeln und du bist einer davon!“

Von so viel Freude und Dankbarkeit, ja, von so viel Begeisterung, kommen mir fast die Tränen: Weil ich gar keine Flügel habe, sondern nur die Seelsorgerin bin. Weil wir hier nicht irgendwo im Urlaub, sondern in einem Zimmer im Hospiz sind. Und Andreas ist hier eingezogen, um zu sterben. Seine Zeit ist begrenzt, das hat er direkt gesagt bekommen, und er spürt es jeden Tag mehr. Er spürt, dass es weniger wird. Und seit er hier ist, sind schon viele von denen, die er neu kennengelernt hat, gestorben, in den Zimmern nebenan. Also eigentlich kein Ort, den man klassisch mit Freude und Dankbarkeit verbinden würde. Und doch begegnet er gerade hier zum ersten Mal in seinem Leben Engeln. Menschen, die ihn so akzeptieren, wie er ist. Bei denen er sich nicht verstellen muss. Menschen, die nach seinen Bedürfnissen und Wünschen fragen, ihm mit Liebe begegnen. Menschen, die einfach nur da sind – für ihn. Und aushalten – bis zum Ende. Zum ersten Mal in seinem Leben. Und er genießt es – so gut es geht. Dieses bisschen Leben, das ihm noch bleibt.

„Es ist nie zu spät, Engeln zu begegnen“, denke ich, als ich das Hospiz verlasse. Aber wir brauchen gar nicht bis zum Ende zu warten, ein Engel zu sein.