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Wacht auf, Verdammte diese Erde!

Vor kurzem ist mein Bekannter Dieter mit Ende 70 gestorben. Er war ein außergewöhnlicher Mensch: Christ, SPD-Mitglied, eigensinnig, streitbar, voller Menschenliebe und Herzlichkeit. Dass zu so einem Mann keine 08/15-Beerdigung passt, ist klar. Und Dieters Trauerfeier war dann auch wirklich besonders. Speziell das Schlusslied. Bevor der Sarg aus der Friedhofskapelle zum Grab getragen wurde, ertönte nämlich vom Band die „Internationale“.

„Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“. Genau wie ich wussten viele nicht, was sie davon halten sollten. So ein Lied auf einer christlichen Trauerfeier – eine Provokation! Ein paar alte Genossen sangen trotzdem verhalten mit. „Typisch Dieter!“ tuschelten einige, und manche konnten sich unter Tränen ein Grinsen nicht verkneifen.

Ich habe mich gefragt: Wer hat sich dieses vermeintlich atheistische Kampflied für seine Beerdigung gewünscht: der Sozialist oder der Christ Dieter? Lange hab ich darüber gegrübelt. Mittlerweile habe ich vielleicht die Erklärung: Wenn die Internationale von „Elend“ spricht, dann war damit für Dieter all das gemeint, worunter Menschen leiden. Zum Beispiel Ungerechtigkeit, Hunger, Ausbeutung, Unterdrückung und so weiter. Wer daran etwas ändern will, der darf nicht die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass Gott schon helfen wird  – nein, der muss selbst mit anpacken. Nicht nur dort, wo er eventuell selbst betroffen ist, sondern gerade da, wo andere leiden. Mit aller Kraft, die ihm Gott schenkt und die auch Dieter sein Leben lang angetrieben hat.

In diesem Sinne: Mach‘s gut, Dieter! Ich hoffe, wir sehen uns wieder!