Beiträge

Reue

Oh Mist! Das war gründlich in die Hose gegangen. Eigentlich wollte ich meinen Kollegen ja nur darum bitten, beim Telefonieren etwas leiser zu sein. Aber leider hatte ich mich dabei sowohl im Ton als auch in der Wortwahl vergriffen. Das war eigentlich übehraupt nicht böse gemeint. Ich war ja nicht sauer auf den Kollegen oder so. Wie gesagt: Nur ein bisschen leiser sollte er sein. Herausgekommen ist dabei aber ein beleidigter Kollege und schlechte Stimmung bei der Arbeit. Da hat es auch nicht viel geholfen, dass ich meinen Fehler ja eingesehen und ihn bereut habe. Also, für mich zumindest. So innerlich.

Denn genau da liegt der Hase begraben. Reue zu empfinden ist das Eine. Reue zu zeigen ist das Andere. Das erste – Reue zu empfinden – ist relativ leicht. Das geschieht ja im Grunde unwillkürlich. Dafür muss ich gar nichts tun. Reue – dieses Gefühl ist einfach da oder auch nicht. Ich kann mich nicht hinsetzen und mir vornehmen, jetzt mal Reue zu empfinden. Also, ich meine, tun kann ich das natürlich, aber es wird nicht viel nützen. Und umgekehrt genauso. Ich kann mir noch so oft einreden und andere können mir das bestätigen, dass ich keine Reue zu empfinden brauche, weil ich ja gar nichts falsch gemacht habe – nützen wird auch das nicht viel.

Auch in der Bibel geht es um Reue. Ganz oft sogar. Vor allem im Alten Testament. Zum Beispiel beim Propheten Amos. Der erlebt in diesem Zusammenhang etwas ziemlich Außergewöhnliches, finde ich.

Was ist passiert? Das Volk Israel ist Gott ungehorsam gewesen. Es hat seine Gebote nicht mehr befolgt und ist seine eigenen Wege gegangen. Eigentlich gibt es nur eine Konsequenz für dieses Verhalten: Das Volk muss bestraft werden. Mit anderen Worten: Das Gericht Gottes wird das Volk treffen. Mit all den Strafen, die dazugehören. In Visionen, in Bildern bekommt der Prophet Amos den Gerichtswillen Gottes gezeigt. Amos sieht einen Heuschreckenschwarm, der die Ernte und damit die Lebensgrundlage des Volkes vernichtet. Er sieht ein Feuer, das alles zerstört. Aber Amos vertraut darauf, dass Gott kein unbeweglicher Gott ist. Er hat ein Herz, das sich bewegen lässt. Aber nicht durch irgendwelche Opfer, sondern durch das Gebet. Das hat einen Einfluss auf Gottes Plan. Deshalb handelt Amos so, wie es zu seinem Amt als Prophet gehört. Er betet zu Gott. Er betet für das Volk:
„Denke doch daran, lebendiger Gott, dein Volk trägt doch den Namen Jakobs.
Hast du es nicht unserem Vater Jakob zugesagt, dass du ihm beistehen willst, wohin auch immer er geht? Hast du es ihm nicht versprochen, dass du deine Verheißungen erfüllst auch an seinen Kindern und Kindeskindern?
Denke doch daran, wie schwach und klein und hilflos dieses Volk jetzt ist. Es kann nicht leben ohne die Hilfe und die Fürsorge seines Gottes. Gott, erbarme dich!“

Amos hat Erfolg mit seinem Gebet. Gott zeigt Reue und führt seinen Plan nicht aus. Von verletztem Stolz keine Spur. Es tut ihm leid, was er für Rachegedanken hatte.

Und ich? Was mache ich nun mit dieser Erkenntnis? Ich also hingehen zu meinem Kollegen. Werde ihm sagen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Nicht in böser Absicht. Aber nichtsdestotrotz einen Fehler. Ich werde den Kollegen um Entschuldigung bitten und hoffen, dass er die Entschuldigung annimmt. Ob er das tut – das habe ich letztlich nicht in der Hand. Aber das, was ich dazu beitragen kann, dass unser Verhältnis wieder in Ordnung kommt, das werde ich tun.

Denn, wenn selbst Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, offen Reue zeigen kann – dann sollte das für mich doch auch kein Problem sein, oder?