Der unbrauchbare Baum
Der altchinesische Philosoph Laotse erzählt diese Geschichte:
Ein Tischler und sein Lehrling stehen vor einem knorrigen alten Baum. Und der Tischler fragt den Lehrbuben: „Was meinst du wohl, warum dieser Baum so groß und so alt geworden ist?“ „Öh“, sagt der Lehrling, „weiß ich nicht. Warum denn?“
Der Tischler antwortet: „Weil er zu nichts zu gebrauchen war. Wäre er für irgendetwas brauchbar gewesen, hätte man ihn längst gefällt, ihn zersägt und Betten, Tische und Stühle draus gemacht. Aber weil er dafür zu krumm war, hat man ihn einfach wachsen lassen. Darum ist er jetzt so groß, dass man sich in seinem Schatten ausruhen kann.“
Zu nichts zu gebrauchen – nur darum konnte er der Baum werden, der in ihm angelegt war. Natürlich ist das keine naturkundliche Lehrstunde, die Laotse uns da vermittelt. Vielmehr ein Gleichnis: Der ist nützlich, der nicht – auch im Umgang mit Menschen können solche Einteilungen verhindern, dass ein Mensch er selber werden kann.
„Der ist zu nichts zu gebrauchen“, sagen häufig Eltern, Lehrer, Meister über junge Menschen, die sich nicht so entwickeln, wie sie das gern hätten. Oder wie sie das früher getan haben: den Erwartungen gemäß. „Ein Mensch, der richtig lebt“, heißt es im Psalm 1 in der Bibel, „der ist wie ein Baum, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit.“ Zu seiner Zeit! Die muss man ihm aber auch lassen.