Lobet den Herrn, alle Völker
Sie nennen sich „Canta d’Elyseo“ und haben wunderbare Stimmen: Zwölf junge Männer, die als Sänger des Dresdner Kreuzchores 2010 ihr Abitur gemacht haben. Dieser Tage werde ich die Freude haben, sie in der Martinskirche in Köllerbach begrüßen zu können. Am 26. Mai geben sie ein Konzert in der Martinskirche.
Ein ganzes Schulleben lang haben die jungen Männer zusammen gesungen und sind dem Gesang immer noch verpflichtet. Und sie singen mit einer Leidenschaft, die ansteckt. Wer nun meint, dass Kreuzchorabsolventen nur Bach und Schütz singen können, der irrt sich gewaltig. Die Formation, die sich nennt, singt ebenso engagiert Lieder der Beatles, der Prinzen oder der Wise Guys.
Musik hat Macht über Menschen. Sie steckt an, lädt zum Mitmachen ein, kann unseren Gefühlen eine Sprache verleihen. Und: Musik war das wichtigste Medium der Reformation. „Es sind mehr Seelen der katholischen Kirche durch die Lieder der Protestanten abhanden gekommen als durch die evangelische Predigt“, sollen die Jesuiten einmal gesagt haben. Und in der Tat: Dass die Gemeinde in Gottesdiensten nicht nur passiv teilnimmt, sondern die Feier durch ihren Gesang selbst mitgestaltet – das ist eine Erfindung des Protestantismus.
Martin Luther persönlich ist übrigens der Erfinder des evangelischen Liedes. Als in Brüssel zwei seiner Anhänger verbrannt wurden, dichtete er ein sogenanntes „Zeitungslied“, um das Leiden und Sterben der beiden jungen Augustinermönche darzustellen. Danach schuf er zahlreiche weitere Lieder, darunter viele bekannte Weihnachtslieder. Das berühmteste ist bestimmt „Vom Himmel hoch, da komm ich her“.
Neben Luther waren aber auch die anderen Reformatoren auf diesem Gebiet aktiv. Allerdings war es ihnen, ich nenne stellvertretend Huldreich Zwingli, Johannes Calvin und Philipp Melanchthon, nicht vergönnt, den richtigen Ton zu treffen. Ihre Lieder blieben weitgehend unbekannt und wurden nur in ihrer Zeit gesungen.
Was ist aber das Besondere der evangelischen Lieder? Der mittelalterliche Gottesdienst ließ nur den gregorianischen Gesang der Geistlichen zu. Wo die Geistlichen nicht singen konnten, etablierten sich Schulchöre, die uns heute zum Beispiel als Leipziger Thomaner, Dresdner Kruzianer, Regensburger Domspatzen ein Begriff sind. Aber die Musik war auf den Altarraum, den Chorraum, wie es korrekt heißt, beschränkt. Dass das Kirchenvolk selbst sang, war auf die Predigtgottesdienste des Mittelalters beschränkt. Und diese Volkslieder im eigentlichen Sinne kamen überwiegend erst im 15. Jahrhundert auf. Als nun aber die Reformation das Lied salonfähig machte, konnte sich die Gemeinde erstmals aktiv im Hauptgottesdienst beteiligen. Und weil die Lieder ein Teil der Verkündigung waren, war das Singen der Lieder ein Teil der reformatorischen Einsicht, dass es ein „Priestertum aller Gläubigen“ gibt. Demnach haben alle Getauften dieselbe Stellung gegenüber Gott. Niemand kann eine Weihe empfangen, die ihm diesbezüglich eine andere, bessere Stellung verschafft.
Und heute? Spielt denn diese reformatorische Tradition noch eine Rolle? Ich glaube, mehr denn je. Denn die Lebendigkeit der Gottesdienste geht nach wie vor vom gemeinsamen Singen aus. Die Kultur hat sich jedoch erheblich verändert: Modernes geistliches Liedgut, Gospel und sogar Rap haben die Kirchen erobert. Und weil auch die katholische Kirche mindestens seit dem 19. Jahrhundert das Lied zu schätzen weiß, ist heute kirchenmusikalisch in der ganzen Breite der musikalischen Ausdrucksformen eine neue Form der Ökumene gefunden.
Während sich öffentliches Singen und Skandieren auf die Fankurven in den Stadien beschränkt, versammeln die Kirchen deutschlandweit jeden Sonntag Tausende von Menschen, die das gesungene Lied schätzen. Denn die Musik trägt auf besondere Weise die christliche Verkündigung, gibt den Sorgen und der Freude der Menschen eine Stimme und verbindet die Nationen.
In Psalm 117 heißt es: „Lobet den HERRN, alle Heiden! Preiset ihn, alle Völker! Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit.“ Dieses Loben und Preisen – das geht am besten mit Gesang. Egal, ob wir eher schief singen oder so wunderbar wie Canta d´Elyseo.