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Kraft, Liebe und Besonnenheit

Schon ganz trocken ist seine Haut, und er kommt nur noch langsam voran. Den Regenwurm hat es erwischt – beim Überqueren der Straße. Der staubige Asphalt und die höher steigende Sonne lassen ihn mitten auf seinem Weg vertrocknen. Langsam und doch schneller als seine Kräfte es zulassen. Es gibt keine Ritze im Asphalt, in die er sich verkriechen könnte. Keinen Zugang zur schützenden Erde. Das war es dann wohl.

Mitten auf dem Weg zu vertrocknen, das erinnert mich an Situationen aus meinem eigenen Leben. Gerade jetzt in den schnellen Veränderungsprozessen. Von der Hitze des Fortschritts, von der Flut der Ereignisse überrascht zu werden, mich selbst dabei zu überschätzen und eine Wegstrecke zu unterschätzen, das kenne ich gut. Da kommt es mir auch manchmal so vor, als ob ich einfach vertrockne – mitten auf dem Asphalt. Meine Kraft verdunstet einfach, und ich bekomme Angst – Angst, dass es diesmal nicht reicht bis zum rettenden Ufer auf der anderen Seite meiner Möglichkeiten. Und dann?

Dann halte ich inne, versuche mein wild schlagendes Herz zu beruhigen und besinne mich auf die Quellen meiner Energie: meine Familie, meine Freunde, schöne Musik, lieb und echt gemeinte Worte, Zeiten, in denen es mir gut ging. Situationen, in denen ich es schon einmal geschafft habe. Und ich beginne, daraus neues Leben zu schöpfen.

Und manchmal sind es die alten Verheißungen, die Zusprüche, Worte Gottes, die in der Bibel überliefert sind und mir neuen Mut geben. Worte, die mir sagen, dass es mehr gibt als nur mein menschliches Vermögen:

Fürchte dich nicht! Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.

Denn Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal,

fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.

Worte können zu Quellen lebendigen Wassers werden. Manchmal hoffe ich auch schlicht, dass etwas Unerwartetes passiert, das mich rausreißt aus meiner spröden Spur.

Vielleicht erwartet das auch der Regenwurm gerade. Und so nehme ich ihn behutsam in meine Hand und lege ihn ins schattige Gras auf der anderen Seite der Straße in der Hoffnung, dass auch er es diesmal schafft.

Hier geht es zur ARD-Mediathek:  https://www.ardmediathek.de/video/aus-christlicher-sicht/aus-christlicher-sicht-15-05-2025/sr/Y3JpZDovL3NyLW9ubGluZS5kZS9BQ1NfMTUzNTUy