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Tägliches Brot

Sonntagabend hatte ich einen Anflug von Angst. Ich war gerade beim Tischdecken und habe im Radio eine Meldung der Welternäh­rungs­organisation „FAO“ gehört: Die Getreideernte ist 2018 gerin­ger ausgefallen, als der Weltbedarf es fordert. Beson­ders in Europa und Russland hat der trockene Sommer zu Ernteaus­fällen geführt. Etwa 30 Millionen Tonnen Getreide werden fehlen.

Doch meine Sorge war unbegründet. Das Brot wird reichen. Dafür gibt es Vorräte. Trotzdem: Meine spon­tane Reaktion hat mich zum Nachdenken gebracht.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“ heißt es im bekanntesten Gebet des Christentums, dem Vaterunser. Ich selbst musste Hunger noch nie spüren. Seit ich lebe, gab es immer genug, und dafür bin ich sehr dankbar.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“, für manche Menschen ist das vielleicht nur eine leere Formel, aber andere erinnern sich gut an eigene hungrige Zeiten, und für viele bleiben die Worte auch heute Abend wieder Ausdruck ihrer Not. Sie fragen sich: Wird es morgen zum Überleben noch reichen?

„Unser tägliches Brot“ – Wohlgemerkt: es heißt nicht „Mein“, sondern „Unser Brot“. Das Gebet verbindet mich Dankbaren mit den Hung­rigen, und es schließt auch die Teilnahmslosen mit ein. Versor­gung der Menschheit ist eine Bitte an Gott, und zugleich unser aller tägliches Brot.

Denn manchmal geht es beim Getreide gar nicht um Brot, sondern um die Wurst – im wahrsten Sinne des Wortes, und ein bisschen auch ums Autofahren. Knapp 43% des weltweit geernteten Getreides sind Mais. Und der landet zu fast zwei Dritteln entweder als Futtermittel in der Fleischproduktion oder als Biokraftstoff in Motoren. Bedarf stei­gend.

Immer mehr Viehzucht bedeutet immer mehr Methangas in der Luft, und auch Ökosprit-Motoren produzieren Kohlendioxyd. Beides befeuert den Treibhaus­effekt, der wiederum – und da schließt sich der Kreis – zu heißen, trockenen Sommern und Ernteausfällen führt.

Sie ahnen, worauf ich hinauswill. Die Wurst auf meinem Abendbrot­tisch bedroht indirekt das Brot auf den Tischen vieler anderer. Deshalb muss ich nicht komplett auf Wurst verzichten, aber ich will meinen Fleischverbrauch und meine Kilometerleistung weiter senken – nicht aus schlechtem Gewissen, sondern aus Vernunft und Dankbarkeit. Dafür, dass für mein tägliches Brot heute gesorgt war.