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Kriegsgräber und die Tränen meines Großvaters

Wir nannten ihn: Den ollen Binder. Er war mein Chemielehrer und bei uns Schülern nicht sehr beliebt. Dr. Binder wirkte irgendwie verstaubt. So wie scheinbar auch seine politischen Ansichten. Jedes Jahr im November sammelte der olle Binder in der Schule für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Für uns klang das nach Heldenverehrung und irgendwie gestrig.

Was waren wir doch dumm! „Die Kriegsgräberstätten sind die großen Prediger des Friedens.“ Der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer hat das gesagt. Lange hat mir das nichts bedeutet.

Aber: Mir ist ein anderer zum Prediger des Friedens geworden: Mein Großvater; obwohl er nie ein Wort über den Krieg verloren hat. Oder gerade deshalb. Ich muss etwa 10 Jahre alt gewesen sein, als ich meinen Großvater beim sonntäglichen Nachmittagskaffee fragte: „Opa, hast du im Krieg auch Menschen erschossen?“ Ich sehe noch, wie mein Großvater erstarrte. Dann fing er an zu weinen. Schließlich sagte er: „Darüber spricht man nicht“. Nun, ich hatte meine Antwort. Und ich habe sie verstanden. Verstanden, warum mein Großvater nicht darüber reden wollte und konnte. Und verstanden, dass Krieg die Hölle ist.

Bald werden die letzten tot sein, die noch aus eigenem Erleben vom Krieg und seinen Schrecken erzählen können. Deshalb braucht es andere Zeugen. Zum Beispiel die Kriegsgräber und die Leute vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Leute wie den ollen Binder. Wir haben das damals nicht verstanden, aber der war auch ein  Prediger des Friedens.