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„Innenraumreinigung“

In der Stadt wirbt eine große Auto-Waschanlage mit einem besonderen Service: „Innenraumreinigung am Fließband in nur zehn Minuten“. Nicht schlecht, denke ich. Das spart dir die eigene Mühe mit dem umständlichen Staubsaugen, mit dem Ausklopfen der dreckigen Fußmatten, mit dem Putzen der verschmierten Fensterscheiben. Und das alles in nur zehn Minuten! Tolles Angebot. Ich sollte es mal probieren.

Angeregt durch die Werbung, gehen meine Gedanken spazieren: Wenn das nur immer so einfach wäre mit der „Innenraumreinigung“! Wie steht’ s zum Beispiel bei mir selber, also nicht im Auto, sondern in mir, in meiner Seele? Nötig hätte ich es ab und zu schon.  Aber: „Innenraumreinigung am Fließband in nur zehn Minuten“? Kaum denkbar in einer wirklichen seelischen Krise. Nur ein Scharlatan würde damit werben, aber kein seriöser Psychotherapeut!

Mir fällt ein, was ich vor Jahren bei Christine Eichel gelesen habe. Die deutsche Schriftstellerin ist in einem Pfarrhaus großgeworden, hat aber mit der Zeit ihren kindlichen Glauben verloren. Eines Tages hat sie aufgehört, zu beten. Sie fand es kindisch. Später – als erwachsene Frau – hat sich das wieder geändert. Auslöser war die Geburt ihres Kindes. In ihrem Buch “Warum ich wieder bete” schreibt sie:

Es war eine schwere Geburt gewesen. Mein Kind hatte lange in großer Gefahr geschwebt, und auch ich hatte einige Blessuren davongetragen. Ich hatte um mein Kind gebangt, hatte sogar das eine oder andere Stoßgebet nach oben geschickt. Viele Tage und Nächte harrte ich dann neben einem Glaskasten aus, in dem mein Baby lag, mit Infusionsschläuchen im Kopf und im Arm. Selbst war ich so schwach, dass ich in einem Rollstuhl hin und her gefahren werden musste. Einige Wochen dauerte es, bis ich mit meinem Sohn nach Hause zurückkehren konnte. Nun saß ich stundenlang auf der Couch, mein Kind im Arm, und betrachtete es. Ich staunte es an. Und ich betrachtete es voller Dankbarkeit. Das Gefühl überwältigte mich, es erfüllte mich mit Leben, es rann durch meine Adern. Dies waren die Momente, in denen ich zum ersten Mal wieder betete. Keine eiligen Stoßgebete, keine Notrufe. Ich konnte nicht anders, als die tiefe, glückliche Dankbarkeit auszusprechen, die ich empfand (1).

Christine Eichel nennt es zwar nicht so, aber für mich klingt das, was sich nach der Geburt ihres Kindes in ihrer Seele angespielt hat, wie eine „Innenraumreinigung“. Nicht „wie am Fließband“ und schon gar nicht in bloß zehn Minuten, sondern mit vielen inneren Kämpfen über einen Zeitraum von Monaten und Jahren. Davon berichtet sie:

Ich war in eine Krise geraten, die mich beinahe zerstörte, ausgelöst durch eine Ehekrise. Noch nie hatte ich mich so verloren gefühlt. Nach und nach kam ich der Welt abhanden. Ich hatte kaum noch etwas,  was mich überhaupt am Leben hielt. … Das Komplettpaket Hilfe gab es nicht. Was ich als Hilfe ersehnt hatte, die rasche Lösung eines unheilvollen Banns, der über meinem Leben lag, stellte sich nicht ein. Meine Errettung hatte eine völlig andere Form als die, die ich erhofft hatte. Denn während meiner nächtlichen Gebete begann ich mich zu verändern. Streit setzt voraus, dass man Recht haben will. Dass man siegen möchte und seine Ansprüche durchsetzt. Im Gebet stritt ich nicht. Ich klagte zunächst. Dann kamen die Fragen. Ich befragte auch mich. Wie stand ich da vor meiner inneren Instanz? … Langsam erst, dann immer deutlicher, konkretisierte sich die Gewissheit: Ich musste selbst meinen Frieden machen mit der Situation. … Meine Gebete wurden daher nicht in dem Sinne erhört, dass mein Ungemach wie von Zauberhand verschwand. Ich musste selbst anfangen, etwas zu ändern (2).

Und das hat Christine Eichel anscheinend getan – mit Erfolg. Ich frage mich: Warum eigentlich sollte mir das nicht auch gelingen? Vielleicht sollte ich ihr Buch noch einmal lesen –  jetzt aber gründlich und langsam. Wahrscheinlich habe ich ihr Buch beim ersten Mal so gelesen wie die Werbung fürs Auto verspricht: „Innenraumreinigung am Fließband in nur zehn Minuten“. Aber was fürs Auto vielleicht richtig ist, kann für die Seele giftig sein.

 

Anmerkungen:

1)   Christine Eichel, Warum ich wieder bete. Das Ende des Zynismus,(Gütersloher Verlagshaus) München 2009, S. 39f.

2)   Ebd., S. 116;  120.