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„Immer Urlaub“

„Du hast ja immer Urlaub!“ Das hat vor ziemlich genau einer Woche ein jüngerer Kollege zu mir gesagt. Pünktlich zum Ferienbeginn. Der Kollege hat damit natürlich darauf angespielt, dass ich im Ruhestand bin.  Und ergänzt: „Was machst Du eigentlich so den lieben langen Tag?“

In dieser Frage schwingt für mich Zweierlei mit. Erstens die Suche nach Ideen. So nach dem Motto: Vielleicht kann ich mir bei Dir ja noch etwas abgucken, für meinen Ruhestand. Und zweitens – ein bisschen negativer gemeint: Das wahre Leben läuft doch jetzt eigentlich an Dir vorbei.

Tja, so einfach sind Urlaub und Ruhestand offenbar doch nicht gleichzusetzen! Niemand käme wohl auf die Idee, dass das wahre Leben im Urlaub an uns vorbeiginge. Im Gegenteil. Im Urlaub können wir unsere Alltagsverpflichtungen und den ganzen Zeitdruck endlich mal hinter uns lassen. Wir können uns stattdessen den Dingen zuwenden, die uns Spaß machen.

Und das wiederum ist etwas, das Urlaub und Ruhestand gemeinsam haben: Beide geben uns Zeit und Raum, etwas hinter uns zu lassen. Nämlich das, was uns in der Vergangenheit beschäftigt hat. Wir können das Alles hinter uns lassen und leben ohne uns den Takt durch den Terminkalender vorgeben zu lassen.

Urlaub und Ruhestand – beides weckt große Erwartungen. Und beides kann deshalb manchmal auch in Enttäuschungen enden. Die äußern sich dann zum Beispiel in Sätzen wie: „Die Erholung ist schon wieder dahin.“ Beziehungsweise „Von meiner Berufs- und Lebenserfahrung will heute keine mehr was wissen.“ Ich gestehe: Auch ich spüre im Ruhestand ab und an den Drang, zu arbeiten: mich ehrenamtlich zu engagieren, einen Vortrag zu halten oder Urlaubsvertretung für jüngere Kollegen zu machen. Und damit kommen wir zu der für mich wichtigsten Gemeinsamkeit zwischen Urlaub und Ruhestand: Nämlich bei der Kunst der erfüllten Lebensgestaltung. Dazu gehört: Mit innerer Ruhe zu leben, mehr Geduld mit mir und anderen zu haben und für alles dankbar zu sein, was gelingt.

Das gelingt -so meine Erfahrung – im Alter mitunter besser . Zumindest dann, wenn man die Kunst des Altwerdens erlernt hat. Das heißt, wenn man loslassen kann, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden und jeden Tag meines Lebens als unverdientes Geschenk empfangen kann. Spätestens seit ich über 70 bin, wird mir immer mehr bewusst: Die Lebenszeit, die hinter mir liegt, ist viel, viel länger als die, die ich noch vor mir habe.

Ich habe in meinem Leben nicht alles erreicht, was ich mir vorgenommen habe. Manchmal schmälert das ein bisschen mein Lebensgefühl im Ruhestand. Aber: Es schmälert nie meinen Wert als Mensch. Ich weiß, dass meine Lebensbilanz immer fragmentarisch bleibt. Als Christ glaube ich, dass Gott  auf mich wartet. Auch am Ende meines Lebens. Und deshalb kann ich getrost mit einstimmen in die Worte des Lieddichters Jochen Klepper, wenn er schreibt: „Der Du allein der Ew´ge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt im Fluge unserer Zeiten: Bleib Du uns gnädig zugewandt und führe uns an Deiner Hand, damit wir sicher schreiten.“