Beiträge

„Die Nacht war vorgedrungen“

Es ist ein echter Klassiker unter den Adventsliedern. Das Stück „Die Nacht ist
vorgedrungen“ des Theologen und Schriftstellers Jochen Klepper. In insgesamt
fünf Strophen bringt das Lied die Weihnachtsbotschaft auf den Punkt. Die
zweite Strophe beispielsweise lautet:

„Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen , zur Sühne für sein Recht .
Wer schuldig ist auf Erden , verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden , wenn er dem Kinde glaubt .“

1938 , im Jahr der ‚Reichspogromnacht‘ , veröffentlicht , ist dies ein ganz
besonderes Glaubenszeugnis des Dichters in der dunklen Nacht seiner
Verfolgung durch die Nazis . Jenseits aller Krippenromantik kommt für mich
das Verlangen nach Befreiung von Angst und Schuld darin zum Ausdruck .
Mehrmals hatte Klepper als Schriftsteller Berufsverbot bekommen – wegen
seiner jüdischen Frau und deren Töchter aus erster Ehe – trotz nachträglicher
Taufen und kirchlicher Trauung ! Ein ebenso vergeblicher Versuch der
Kleppers, die Familie vor Verfolgung zu retten , wie die Bemühung um Ausreise.
Zwischen Angst und Hoffnung pendelt so das Leben der Familie in der Nazi-
Zeit .

Das Lied mit seinen biblischen Bildern von Licht und Finsternis klingt wie eine
trotzige Glaubenszuversicht in der immer aussichtsloseren Situation :

„Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein .
……Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr .
Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her .“

Doch es wird schlimmer : 1941 wird Klepper als „wehrunwürdig“ wegen seiner
Familie nach einem Jahr aus der Wehrmacht entlassen . Längst bestimmt nicht
mehr der „helle Morgenstern“ sondern der ‚gelbe Judenstern‘ ihr Leben . Die
Ausreise der jüngsten Tochter scheitert , und er schreibt am letzten
gemeinsamen Weihnachten in sein Tagebuch : „Ich vermag zu Gott nur noch zu
beten, uns sterben zu lassen…So habe ich es Weihnachten noch nie gebetet…!“
Auch von seiner evangelischen Kirche fühlte sich der Pfarrerssohn Klepper im
Stich gelassen. Aus der Glaubenshoffnung wird angesichts der sogenannten
„Endlösung der Judenfrage“ Verzweiflung . Das Hakenkreuz scheint als dunkles
Todessymbol offenbar über das Christuskreuz als helles ‚Lebenszeichen‘ zu
siegen . So scheidet Jochen Klepper 14 Tage vor Heilig Abend 1942 mit seiner
Familie aus dem Leben! Der innere Glaubenskampf eines äußerlich zerbroche
nen Mannes wird auch noch in der letzten Tagebucheintragung vor seinem
Tode sichtbar : Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden
Christus , der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

Vielleicht können wir an Weihnachten eher in die Liedzeile : „Gott will im
Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“ einstimmen als Klepper selber. Er hat
uns mit seinem Schicksal deutlich gemacht , dass die Zusage Gottes , uns nahe
zu sein , nicht bedeutet , dass alle Probleme gelöst, alle Zweifel verschwunden
sind . Aber alles Leid und Unrecht haben ihre lebensbestimmende Kraft
verloren , haben nicht mehr das letzte Wort. Die dritte Strophe des Liedes
lautet:

„Die Nacht ist schon im Schwinden, macht Euch zum Stalle auf !
Ihr sollt das Heil dort finden , das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet,
seid Eure Schuld geschah. Nun hat sich Euch verbündet ,
den Gott selbst ausersah.“