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Barbara und ihr Lied über Göttingen

Gewiss, dort gibt es keine Seine / und auch den Wald nicht von
Vincennes / aber schön ist es dennoch / in Göttingen, in
Göttingen…

Das Lied „Göttingen“ der französischen Sängerin Barbara ist
Mitte der 1960er Jahre in Frankreich und Deutschland
gleichermaßen bekannt geworden. Barbara war Kind einer
jüdischen Familie und hat die Verfolgung durch die Nazis nur
knapp überlebt. Umso bemerkenswerter ist der Beitrag, den sie
mit ihrem Lied zwanzig Jahre später zur deutsch-französischen
Verständigung geleistet hat. Am 24. November 1997, heute vor
19 Jahren, ist Barbara gestorben.

Ich habe das Lied in meiner Schulzeit an einem deutschfranzösischen
Gymnasium kennen und lieben gelernt. Ich war
damals um die 15 und konnte nur ahnen, welch schreckliche
Geschichte der Feindschaft hinter Frankreich und Deutschland
lag, wenn Barbara betonen musste: „Was ich nun sage, das klingt
freilich / für manche Leute unverzeihlich: / Die Kinder sind genau
die gleichen / in Paris wie in Göttingen.“

Vor einigen Wochen habe ich in Villeurbanne, bei Lyon, an einer
Konferenz teilgenommen. Die Stadtverwaltung will dort einen
Aktionsplan entwickeln für die Integration von Zuwanderern. Ich
durfte einen Erfahrungsbericht aus Saarbrücken beisteuern.
Auf dem Weg zum Rathaus von Villeurbanne ist mein Blick an
einem steinernen Mahnmal hängengeblieben. Es ist den Toten
des Volksaufstands gegen die deutsche Besatzung 1944 gewidmet. 

Sofort war ich wieder mittendrin in der deutschfranzösischen
Geschichte von Krieg und Frieden, Feindschaft und
Versöhnung. In mir hat das Lied von Barbara geklungen.
Auf der Konferenz habe ich interessante Menschen kennen
gelernt: gebürtige Franzosen genauso wie alteingesessene
Migranten und neu angekommene Flüchtlinge. Sie alle hatten
den gleichen Wunsch: Trotz aller Schwierigkeiten einen
gemeinsamen Weg unter dem Dach der französischen Republik
zu finden. Wir haben lebhaft diskutiert und mit Freude
festgestellt, wie sehr sich unsere Überzeugungen ähneln und
dass das Miteinander uns so viel weiter bringt als das
Gegeneinander. Mit einer älteren Französin habe ich mich über
das Mahnmal vorm Rathaus unterhalten. Sie hat gelächelt und
gesagt: „Wie schön, dass wir uns heute kaum mehr daran
erinnern können, dass Franzosen und Deutsche mal Erzfeinde
waren.“

Die Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft nach
dem Zweiten Weltkrieg zeigt, wie die Spirale von Hass und
Gewalt durchbrochen werden kann. Jesus spricht davon in der
Bergpredigt: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch
verfolgen.“ Ich finde diese Vorstellung nicht naiv. Zum Beispiel
hat sich die Sängerin Barbara trotz der Feindschaft, die ihr selbst
entgegen geschlagen ist, für den Frieden eingesetzt.
Kultur, Begegnung und Dialog sind unerschöpfliche Quellen für
grenzüberschreitendes Lernen. Diese Quellen offen und lebendig
zu halten, ist heute wichtiger denn je.
„Lasst diese Zeit nie wiederkehren / und nie mehr Hass die Welt
zerstören“, singt Barbara am Ende ihres Liedes. Ihre neue
Beziehung zu Deutschland baut nicht auf den alten Bildern,
sondern auf neuen Freundschaften auf: „Es wohnen Menschen,
die ich liebe, in Göttingen, in Göttingen.“

Musik: Göttingen (Barbara)
… Ô faites que jamais ne revienne / le temps du sang et de la
haine / Car il y a des gens que j’aime / A Göttingen, à Göttingen
(1:35-1:48) 0‘13